Mars 26

Hier werden nach und nach die weiteren Tagebuch-Blätter zu meinem Flug zum Mars veröffentlicht. Die Eintragungen 1-25 befinden sich auf der Seite „Ongoing“. Was bisher geschah: Michelle, John, José und ich wurden in einem langwierigen Selektionsverfahren vom weltweiten Fernseh-Publikum zur ersten Mars-Reise auserkoren. Ich versuche niederzuschreiben, wohin die Reise geht und was uns bewegt. Viel Vergnügen bei der Lektüre.

Bei José wissen wir es mehr oder weniger, auch wenn er darüber nie ein Wort verlieren würde. Das war schon in unseren Trainingcamps am Nordpol, in den Weiten der Wüste Gobi und im Dschungel so. Er legt ohne Aufhebens in der Abgeschiedenheit der Toilette oder seines Schlafsacks zuweilen Hand an sich selbst und befriedigt sich. Welche Phantasien ihn dabei begleiten, bleibt sein Geheimnis. Wir haben schon lange aufgehört, danach zu fragen. Irgendwie interessiert es auch niemanden wirklich, er interessiert sich schliesslich auch nicht für uns. Er ist unser Mann der geizigen Kommunikation und in der Popularität beim Fernsehpublikum weit abgeschlagen. Dafür ist er der einzige, der technisch etwas von unserer Mission versteht. Er hält stundenlang Kontakt zum Ground Control und wartet geduldig auf deren Antworten, die wegen der zunehmenden Distanzen jeden Tag etwas länger dauern. Er gleicht die Daten ab und diskutiert mit denen dort unten in stets gleichem Tonfall über Position und Richtung, Planeten, gefährliche Asteroiden, Vorräte, Treibstoff und Sauerstoff. Wenn wir ihn nicht hätten! Er ist ohne irgendwelchen Führungsanspruch unser heimlicher Commander, unser schwebendes Gewissen, sein Rat wird im Ground Control ebenso befolgt wie bei uns an Bord. Der Preis dafür ist eine öde Langeweile, die sich um ihn herum einstellt, wenn man jetzt einmal von seinen Fürzen absieht, die aber mit der Zeit ihren schrulligen Reiz etwas verlieren.

Ob man sich angesichts unserer plötzlich sexuell aufgeladenen Stimmung hier im Raumschiff in Josés Gegenwart genieren muss, selber erotische Gedanken zu hegen? Wir meinen zwar alle bis zu einem gewissen Grad mit einem triebhemmenden Mittel sediert worden zu sein, welches von den Köchen auf Erden unserem Essen beigemischt wurde. Doch die Wirkung scheint nachzulassen. Ich erlaubte mir deshalb, gestern beim Ground Control nachzufragen, ob seinerzeit bei der Essenszubereitung und Dehydrierung der Speisen eventuell eine Panne passiert sei, die man uns wohlweislich verheimliche. Oder ob es sich um ein uns verschwiegenes dramaturgisches Konzept handle, uns zwischenzeitlich sexuell etwas aufzuladen, damit etwas Schwung in unsere schläfrige Gruppe kommt und wieder etwas mehr Zuschauer an die Bildschirme gelockt werden?

Nach einer halben Stunde meldete sich Suzan, unsere Psychologin. Sie riet uns zur Besonnenheit. Sie sprach zu uns in einem Ton, als ob wir hier oben ganz von Sinnen wären: ein Rudel voller heulender und winselnder Wölfe, die alles beissen, was sich ihnen in den Weg stellt. Psychologen belieben in Fällen vermeintlicher Gefahr und Kontrollverlust das Tempo zu drosseln und klar und deutlich zu sprechen. Ohne Nebensätze. Allein dieser pädagogische Tonfall stempelt einen zum Sünder, zum zu bezähmenden Viech, das man eigentlich einsperren müsste, weil es eine Bedrohung für die Allgemeinheit darstellt.

Was für eine Frechheit gegenüber einer erfolgreichen und bestandenen Besatzung, die schon seit mehr als einem Monat in engsten Verhältnissen lebt und ihr Bestes zu geben bereit ist! Am liebsten hätte ich diese Dame voller Empörung angeschnautzt: Suzan, wir sind erwachsene Leute! Wir wollen lediglich eine Auskunft einholen. Es nimmt uns nur wunder, wie es kommt, dass wir hier oben plötzlich alle geil sind – als ob ein Schalter umgelegt worden ist…

In unseren Trainingscamps lernten wir aber Contenance: Nicht fauchen, keine Emotionen zeigen, ruhig und geduldig bleiben. Mit jedem Tag hilfreicher für die Contenance ist auch, dass der Transport unserer Emotionen mittlerweile über acht Minuten braucht, bis sie auf der Erde angekommen sind. Wenn man den Rückweg und die dazwischen liegenden Überlegungen mitrechnet, so kommt man mittlerweile gut und gerne auf eine halbe Stunde, was für die Aufrechterhaltung meiner Empörung eine allzu lange Zeitspanne darstellt. Auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer würde ein solcher Dialog kein Highlight darstellen.

Suzan würde im bekannten Modus und in unerträglicher Zeitverzögerung sagen Nikolaus cool down, während ich vorher schon lange Entwarnung gegeben hätte.

So holte ich lediglich tief Luft und antwortete cool Suzan, alles ok hier.

John schwebte herüber, griff sich zwischen seine Beine und flüsterte mir kumpelhaft zu: Der würde so ein richtiger Fuck gut tun. Wie ich jetzt eine Möse bräuchte! Mmmmhhh…

Das Thema war damit, für heute zumindest, erledigt.

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